Aprilwetter und Frühlingsgrün
Anneliese griff nach ihrem Korb, legte die Handschuhe auf die Gartengeräte und schaute zu Gertrud, die am Kachelofen saß, in den Händen einen dampfenden Becher. »Kommst du mit nach draußen?«, fragte sie, auch wenn sie sich die Antwort schon denken konnte.
Gertrud pustete in ihren Tee. Ihrem Gesichtsausdruck sah Anneliese an, dass sie nach einer Ausrede suchte, die am wenigsten nach einer solchen klang.
Während Gertrud sich ganz offensichtlich noch die passenden Worte zusammenlegte, wechselte Anneliese einen Blick mit Walter. »Du weißt doch«, meinte der Frosch in die Stille hinein, »mit frischen Mehlwürmern stimmst du mich gütig. Wenn du eine Heuschrecke auf meinen Speiseplan setzt, bin ich bereit dir einen Gefallen zu tun. Das ist bei euch Menschen nicht anders. Auch wenn ich nicht sicher bin, wie Gertrud zu Insekten steht …« Er blies seine Schallblase auf und ließ sie mit einem Geräusch entweichen, die wohl seine Variante eines Lachens darstellen sollte.
Anneliese schmunzelte. Natürlich gab es prinzipiell so einiges, womit man Gertrud locken konnte – Insekten zählten, nebenbei bemerkt, ganz sicher nicht dazu. Aber wenn der Wind um den ehemaligen Leuchtturm pfiff, wenn der Himmel grau und wolkenverhangen war und immer wieder leichte Nieselschauer auf die Erde niedergehen ließ … dann verkroch sich Gertrud lieber drinnen. Am Ofen, mit einem Becher Tee und einem guten Buch.
Als Gertrud schließlich den Mund öffnete, um zu einer Antwort anzusetzen, winkte Anneliese ab. »Ich weiß, Liebes«, sagte sie mit einem Lächeln. »Der April mit seiner Wechselhaftigkeit ist wirklich nicht dein Monat – zumindest nicht an den Tagen, an denen die Sonne sich versteckt und das Thermometer es nicht über 10 Grad schafft. Ich kümmere mich jetzt erst einmal allein um den Garten – und sollte das Wetter später besser werden, kannst du dich mir immer noch anschließen. In Ordnung?«
Gertrud nickte und wirkte deutlich erleichtert, als sie erneut in ihren Tee pustete und dann einen Schluck trank.
»Bringst du mir was von draußen mit?«, fragte Walter.
Anneliese sah ihn an und hob eine Braue. »Lass mich raten: Jetzt hast du Lust auf Heuschrecken bekommen?«
»Schon. Köstliche, köstliche Heuschrecken …« Walter ließ die Zunge aus seinem Maul schnellen, als hätte er bereits eine Heuschrecke vor Augen.
Anneliese schmunzelte. »Ich schaue, was sich machen lässt. Du könntest allerdings auch mit rauskommen und dir deinen Leckerbissen selbst fangen …«
»Och, nöö, das passt schon so«, winkte Walter ab. »Ich bin sicher, du schaffst das auch allein.«
Anneliese lachte. »Ihr zwei frönt wirklich gern der Stubenhockerei!«
»Nur bei schlechtem Wetter«, verteidigte sich Walter.
»Ich weiß. Wenn es zu kalt ist. Zu windig. Zu bewölkt. Zu nass. Zu trocken. Zu sonnig. Oder zu warm.« Anneliese winkte den beiden noch einmal zu, dann stieg sie die Wendeltreppe hinab bis zum Eingangsbereich des ehemaligen Leuchtturms. Dort tauschte sie die flauschigen Pantoffeln gegen ihre Gartenstiefel und zog eine wetterfeste Jacke an. Mit einem zufriedenen Seufzen öffnete sie die Tür und stapfte kurz darauf den schmalen Weg entlang, der zum Gemüsegarten führte.
Anneliese mochte den Frühling – selbst wenn es windig war, bewölkt und leicht nieselte. Überall um sie herum wurde es lebendig: Die Tiere krochen aus ihren Winterverstecken und die Pflanzen reckten die ersten Triebe und teils auch schon die ersten Blüten den oft noch zaghaften Sonnenstrahlen entgegen.
Bei den Beeten angekommen schaute sie nach dem jungen Blumenkohl, den sie kürzlich aus dem Gewächshaus ins Freie gepflanzt hatte. Von dem Bärlauch konnte sie bereits einiges ernten, ebenso vom Spinat. Und aus dem wärmenden Frühbeet wanderten Radieschen und Mangold in ihren Korb.
Bis sie ihre Tomatenpflanzen nach draußen umziehen konnte, musste sie noch etwas warten. Doch wenn die Temperaturen weiter leicht anstiegen, sollte sie bald damit beginnen können, die ersten Saatkartoffeln zu stecken.
Anneliese ließ den Blick über all das Grün schweifen, das von Tag zu Tag mehr wurde, und lächelte zufrieden. Der Garten mochte nicht groß sein im Vergleich mit den Feldern, die das nahe Dorf umgaben, doch er gehörte ihr. Und alles, was hier wuchs, hatte sie selbst angepflanzt und gehegt.
Als die Wolkendecke aufriss und einige Sonnenstrahlen aus dem Grau hervorblitzten, schloss Anneliese für einen Moment die Augen und genoss die sanfte Wärme auf ihrem Gesicht. Dann strich sie sich einige graue Locken, die der Wind ihr in die Stirn gepustet hatte, wieder hinters Ohr.
Während sie überlegte, was sie aus der heutigen Ernte kochen könnten, hielt sie nach Heuschrecken für Walter Ausschau – auch wenn sie sehr bezweifelte, dass sie welche finden würde. Von den meisten waren vermutlich gerade einmal die Larven geschlüpft, und die waren wirklich schwierig zu entdecken.
Stattdessen sammelte sie schließlich einige Nacktschnecken ein. Die fand Walter zwar nicht sonderlich ansehnlich, aber sie waren ihm meist trotzdem eine willkommene Abwechslung auf seinem Speiseplan.
Mit dem Gemüse in ihrem Korb und den Nacktschnecken, sicher verstaut in einem Schraubglas mit Löchern, machte sich Anneliese auf den Rückweg ins Warme – zu ihrer Liebsten und dem froschigen Herrn Ex-Prinz.

Diese Geschichte ist ein Spin-off zu einem noch unveröffentlichten Projekt, zu dem es auf Instagram und Mastodon aber bereits unter dem Hashtag #HexeLeuchtturmFrosch (AT) einige erste Infos gibt. Zudem habe ich den beiden Hexen und ›ihrem‹ Frosch unter dem Titel »Adventszeit mit Mistelzweig und leuchtenden Pilzen« auch schon eine adventliche Kurzgeschichte geschrieben.
Außerdem ist dieser Text Teil des Osterspecials des Autoren-Adventskalenders. Dort versteckt sich hinter jedem Türchen ein Beitrag von einem*r anderen Autor*in rund um die Themen Frühling und Ostern. Zusätzlich zu dem Kalender von diesem Jahr könnt ihr auch in den Geschichten, Gedichten und sonstigen Texten der Vorjahre stöbern.