Einfach nur schlafen

»Sag mal, hast du heute noch vor, irgendwann mal aufzustehen?«

Yuki zog sich die Decke über die Ohren und versuchte, Kater Sasuke zu ignorieren.

Der jedoch hakte seine Krallen in den Bezug, wie um sie aufzuhalten.

Da Yuki nicht wollte, dass der Bezug zerriss – waren ohnehin schon genug Katzenspuren im Stoff -, gab sie nach. Zumindest, was die Decke anging. Ansonsten stellte sie sich weiter schlafend, auch wenn Kater Sasuke ihr das höchstwahrscheinlich nicht abnahm – oder es ihm herzlich egal war.

»Du weißt genau, dass ich es hasse, wenn du mich ignorierst.« Kater Sasuke fauchte leise neben ihrem Ohr.

Yuki seufzte. »Ich habe heute frei. Ich will ausschlafen. Und zwar richtig.«

»Und dir ist egal, wenn ich derweil verhungere?!« Sasuke klang verschnupft.

Yuki wusste, dass er dabei auch so aussah, als wäre er der ärmste Kater der Welt. Das konnte er besonders gut. »Du verhungerst schon nicht so schnell. Außerdem hast du ganz sicher noch was in deinem Napf – und ich wette, dass dein Wasserglas auch nicht leer ist.«

»Die Sachen sind von gestern.« Es lag so viel Ekel in Sasukes Stimme, dass es fast schon lustig war.

Dennoch verkniff sich Yuki das Lachen, das ihr auf der Zunge lag. Denn das würde ihre Situation nicht erleichtern. Ein eingeschnappter Kater war ein Kater, der nicht aufgab, der sie so lange drangsalierte, bis sie ohnehin nicht wieder einschlafen konnte – und auch sicherlich obendrauf noch Kopfschmerzen von seinen Arien des Jammers hatte.

Sie seufzte. »Wirst du mich in Ruhe lassen, wenn ich dir den Futternapf auffülle und das Wasser austausche?«

»Möglich«, räumte der Kater wenig überzeugend ein.

Yuki setzte sich auf, rieb sich die Augen und schaute Sasuke mit hochgezogenen Brauen an. »Wirst du mich in Ruhe lassen oder nicht?«

»Naaa gut.« Er erhob sich von seinem Platz neben ihrem Kopfkissen, streckte sich und schlenderte zum Fußende des Bettes. »Kann ich dann jetzt mein Frühstück bekommen?«

»Gib mir einen Moment.« Yuki gähnte, dann schob sie langsam die Decke von sich herunter, rutschte zur Bettkante und tastete mit den Zehen nach ihren flauschigen Pantoffeln.

Der Kater sprang derweil mit einem Elan vom Bett, um den Yuki ihn beneidete, und lief zur Tür, wo er innehielt und zu ihr zurückschaute. »Wird das heute noch was?«

Yuki schnaubte. Das Spiel konnten zwei spielen. »Weißt du, ich glaube, ich lege mich wieder hin.« Sie schüttelte die Hausschuhe von ihren Füßen und machte Anstalten, erneut unter die Decke zu kriechen.

Sasuke kam leichtfüßig zu ihr, reckte sich und rieb sein Köpfchen an ihrem Knie. »Aber ich verhungere doch … Willst du wirklich einen Kater auf dem Gewissen haben?«

»Du weißt genau, dass es mir morgens schwerfällt, aufzustehen – musst du mich da wirklich noch triezen?«

»Okay«, lenkte Sasuke schließlich ein. Offenbar hatte er wirklich Frühstückshunger – und definitiv keine Lust auf das Futter von gestern.

Betont langsam erhob sich Yuki. Diesmal, ohne dass der Kater eine Bemerkung machte oder ihr sonst wie zu verstehen gab, dass sie sich gefälligst beeilen sollte. Sie hatten einen Burgfrieden erreicht, zumindest für den Moment.

Nachdem sie Sasuke in der Küche versorgt hatte, schlurfte Yuki wieder ins Schlafzimmer. Fast wäre sie über den Kater gestolpert, der es in der Zeit, die sie brauchte, um auch nur in die Nähe ihres Bettes zu kommen, offenbar geschafft hatte, seinen Durst zu löschen und seinen Hunger zu stillen, sie einzuholen und ihr zwischen die Beine zu laufen. Sie strauchelte bei dem Versuch, ihm auszuweichen, stützte sich an ihrer Kommode ab und verharrte einen Moment. Erst als Sasuke leichtfüßig aufs Bett gesprungen war und es sich neben ihrem Kopfkissen bequem gemacht hatte, setzte sie ihren Weg fort.

Erleichtert schlüpfte sie kurz darauf unter die Decke und zog sie bis unter ihre Nasenspitze hoch. »Gute Nacht, Sasuke.«

Ausnahmsweise hatte der Kater keine Einwände. Er rollte sich auf ihrem Bauch zusammen und begann zu schnurren.

Yuki kraulte ihn am Köpfchen, was das Schnurren noch intensivierte – und ihr ein Lächeln entlockte. Dann schloss sie die Augen und schlief erneut ein.

Doch auch im Schlaf ließ sie der Kater nicht ganz in Ruhe: Immer wieder wurde Yuki aus ihrem Schlummer gerissen, weil Sasuke träumte – und dabei mit den Pfoten zuckte, schmatzte und mit den Zähnen mahlte – oder schnarchte. Eigentlich war es ja recht niedlich bis unterhaltsam. Aber nicht, wenn sie selbst schlafen wollte.

Seufzend setzte sich Yuki schließlich auf. Der Kater rutschte protestierend und sich im Deckenbezug festkrallend auf ihren Schoß.

»Kannst du mich nicht mal schlafen lassen?«, beschwerte er sich.

Yuki lachte. »Das musst du gerade sagen! Erst beschwerst du dich, dass ich zu viel schlafe, und dann legst du dich hin, lässt mich aber nicht zur Ruhe kommen.«

Sasuke legte den Kopf schief und schaute sie fragend an.

»Du schnarchst.«

»Tue ich nicht!« Der Kater richtete sich auf und begann, sich das Fell zu putzen.

»Oh, doch, glaub mir. Und wenn du das nicht tust, dann träumst du so lautstark, dass ich neben dir kein Auge zubekomme.«

»Nun gönnst du mir auch meine Träume nicht?« Sasuke schaute vom Putzen auf und blickte sie vorwurfsvoll an.

»Natürlich gönne ich dir deine Träume und ich gönne dir ebenso deinen Schlaf. Ich hätte nur auch gern was davon – also, nicht von deinem, natürlich. Meinen eigenen.« Sie gähnte. »Ich bin einfach platt«, erklärte sie. »Du weißt, wie sehr ich meine Arbeit mag und wie viel Spaß ich an dem letzten Design-Auftrag hatte, aber es war auch echt anstrengend. Besonders die letzten Tage vor der Abgabe. Deshalb würde ich heute gerne mal so viel Zeit wie möglich im Bett verbringen – und nichts tun. Als Kater ist dir die Bedeutung von ausreichend Schlaf doch bestens bewusst.« Sie zwinkerte ihm zu.

Sasuke allerdings verengte die Augen. »So viel schlafe ich nicht. Meistens bin ich viel aufmerksamer, als du denkst. Und in den Zeiten, in denen das nicht der Fall ist, brauche ich eben meine Ruhe.«

Yuki legte den Kopf schief. »Ich aber auch. Erst letztens habe ich wieder gelesen, dass die meisten Menschen eher zu wenig schlafen – und dass das auf Dauer ziemlich ungesund ist.«

»Also willst du heute alles auf einmal nachholen?«

»Nicht wirklich. Das wäre wahrscheinlich auch etwas schwierig, wenn ich mir anschaue, wie viel ich da allein aus den letzten Wochen nachholen müsste – so viele Stunden hat der Tag gar nicht. Aber ich würde meinem Körper gerne so viel Schlaf geben, wie er heute haben möchte. Dösen, wenn ihm danach ist, mit dir gemütlich kuscheln, wenn wir beide das wollen, und schlafen, wenn mir die Augen zufallen und ich müde bin.«

Der Kater fuhr sich noch einmal mit den Pfoten über die Ohren, dann machte er es sich erneut auf Yukis Schoß gemütlich. »Das klingt eigentlich gar nicht so schlecht«, räumte er ein und fügte hinzu: »Auch wenn ich mir weiterhin nicht vorstellen kann, dass ich wirklich schnarche, darfst du mich leicht anstupsen, sollte es wider Erwarten doch passieren.«

»Danke.« Yuki wusste, dieses Zugeständnis war Sasuke nicht leichtgefallen.

Sie legte sich wieder hin, diesmal auf die Seite, und kuschelte sich gemütlich ins Kissen. Der Kater tapste einige Momente auf ihr herum, drehte sich ein paar Mal um sich selbst und ließ sich dann in ihre Kniekehle plumpsen. Yuki grinste. Nach ihrem Bauch war das sein liebster Schlafplatz.

Schon bald hörte sie sein ruhiges Atmen und spürte, wie er schwerer wurde, während er entspannt einschlief. Sie selbst schaute sich noch einige Videos mit Tierbabys auf dem Handy an, bis sie schließlich über einem winzigen Faultier, das mit einem Fläschchen gefüttert wurde, ebenfalls einschlummerte.


Yuki und Kater Sasuke lassen den heutigen Welttag des Schlafes (World Sleep Day), der dieses Jahr unter dem Motto „Regular Sleep for a Healthy Future“ steht, also ganz entspannt angehen – und wünschen euch schon mal eine geruhsame Nacht und einen erholsamen Schlaf.

Diese Geschichte ist ein kleines Spin-off zu meinem Roman »Der Kater unterm Korallenbaum, oder: Wünschen will gelernt sein« (2019).

Für diejenigen, die das Buch noch nicht kennen, gibt es z.B. hier weitere Infos:
Coverreveal „Der Kater unterm Korallenbaum“ von Christina Löw
Veröffentlichung: „Der Kater unterm Korallenbaum“ von Christina Löw


Außerdem ist dieser Text Teil des Oster-Autoren-Kalenders. Dort versteckt sich hinter jedem Türchen ein Beitrag von einem*r anderen Autor*in rund um das Thema Ostern. Zusätzlich zu dem Kalender von diesem Jahr könnt ihr auch in den Geschichten, Gedichten und sonstigen Texten von 2020 stöbern.